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Titel
Schwimmbäder. 200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades


Autor(en)
Oloew, Matthias
Erschienen
Anzahl Seiten
392 S., 22 Farb- u. 234 SW-Abb.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Brünenberg, Historische Forschungsstelle, Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS), Erkner

Das architekturhistorische Wissen über den kommunalen Schwimmbadbau beschränkt sich bei vielen Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern vermutlich auf die Kenntnis des einzigen, überregional bekannten architektonischen Werks von Max Frisch: das Freibad Letzigraben in Zürich (1947–1949).1 Die jüngst von Matthias Oloew vorgelegte Veröffentlichung seiner 2017 an der Technischen Universität Berlin abgeschlossenen Promotion Schwimmbäder. 200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades kann dieses Wissen auf beeindruckende Art und Weise sowohl für Laien als auch für das Fachpublikum erweitern. Nach der Lektüre der etwas mehr als 300 Seiten umfassenden Entwicklungsgeschichte des öffentlichen Bades ist eindeutig: Das Schwimmbad ist auf vielschichtigen Ebenen eine komplexe Bauaufgabe – funktional, konstruktiv, technisch, sozial und kulturell. Das durchgehende Argument Oloews zur Bedeutung der Schwimmbäder als gesellschaftlich relevante Bauaufgabe stellt das der Daseinsvorsorge dar. Die Daseinsvorsorge bezeichnet eine staatlich durch die Bereitstellung von Leistungen oder Ressourcen zu erfüllende Aufgabe, um das menschliche Dasein im Land zu ermöglichen.2 Dass auch die Schwimmbäder trotz der hohen Unterhaltungskosten ein wichtiger Teil der kommunalen Daseinsvorsorge sind, wird bis heute hauptsächlich mit der Bildungsaufgabe der Schwimmkompetenz, aber auch mit der kulturellen und sozialen Aufgabe des Schwimmbades begründet.3 Entsprechend vielschichtig sind die Betrachtungsebenen zu Hallen-, Frei- und kombinierten Hallenfreibädern, die von Oloew aufgearbeitet werden.

Seine Monografie gliedert sich in drei chronologisch aufeinander aufbauende Teile: erstens die Entwicklung der Bauaufgabe bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, zweitens der Zwischenkriegszeit im Spannungsfeld zwischen Demokratisierung der Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur und dem ausführlichsten dritten Kapitel zur Funktion und Form des Bäderbaus seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Der historischen Betrachtung vorangestellt ist ein hilfreiches Glossar mit relevanten Begriffserklärungen zu der doch deutlich spezialisierten Bautypologie Schwimmbad. In den ersten beiden Kapiteln erläutert Oloew chronologisch die Entwicklungsgeschichte des Bäderbaus im Allgemeinen. Während er hier durch von ihm als „Wegmarken“ bezeichnete, eingeschobene Exkurse zu exemplarischen Baubeschreibungen konkreter Schwimmbadbauten die praktische Umsetzung der historischen Zäsuren darstellt, ist das dritte Kapitel des Hauptteils weniger chronologisch durch ebendiese konkreten Baubetrachtungen gegliedert. Die Erläuterung der Bäderbauten seit 1945 ist mehr durch die Ausbildung verschiedener Schwimmbadtypen gekennzeichnet, denn durch eine kontinuierliche Entwicklungsgeschichte. Diese unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sind nicht als wissenschaftliche Inkonsequenz zu verstehen, sondern begründen sich auf den von Oloew erläuterten Forschungsstand zur Typologie Schwimmbad, durch den die Betrachtung von konkreten Bäderbauten bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgedeckt ist.4 Die Auswahl der von Oloew ausführlich beschriebenen Schwimmbäder wird lediglich durch die Konzentration auf öffentliche Bäder in kommunaler Verantwortung eingegrenzt und ergänzt durch die staatlich gesteuerten Schwimmbadbauten der DDR.5

Die Entwicklungsgeschichte des Schwimmbads beginnt und entfaltet sich ganz ähnlich wie die vieler neuen Bauaufgaben der Moderne: Durch das Wachstum der Großstädte wurden hygienische Maßnahmen zur Vorbeugung von Krankheiten nötig. Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebauten öffentlichen Bäder in den Stadtzentren bleiben allerdings nicht lange reine Gesundheitseinrichtungen; schnell entwickeln sie sich zu sozialen Treffpunkten und Orten der sportlichen Betätigung. Ist das Bad bis zum Ende des Ersten Weltkrieges noch geprägt durch repräsentative Annäherungen an die antiken römischen Thermen sowie die Geschlechter- und Klassentrennung, zeigt sich in den 1920er-Jahren das Demokratieverständnis der Weimarer Republik durch große Glasflächen, weitgespannte Räume und soziale Annäherung. Auch bei den nationalsozialistischen Schwimmbädern lässt sich die klassische Geschichte der monumentalen Bauten mit Erziehungsauftrag für den „arischen“ Menschen ablesen. Auf den konstruktiven Entwicklungen der Moderne aufbauend und mit dem Wunsch nach mehr Licht, Luft und Sonne verbunden, entwickeln sich schließlich in der Nachkriegszeit unterschiedliche Schwimmbadtypen wie die Sommer- bzw. Freibäder, innerstädtische Hallenbäder und eher suburban gelegene kombinierte Hallenfreibäder. Die Entwicklungsgeschichte der Schwimmbäder wird von Oloew bis in die aktuellen Diskussionen zur Nutzbarkeit denkmalgeschützter Bäder und die Separierungsforderungen von muslimischen Badenutzern und -nutzerinnen sowie trans- und intersexuellen Menschen geführt. Nicht nur durch die Wahl der fast ausnahmslos im deutschsprachigen Raum gebauten Beispiele, sondern auch durch diesen sehr deutsch geprägten architekturhistorischen Faden, ist der Bezug auf internationale Forschungsarbeiten zum Schwimmbadbau gering, wird aber auch kaum vermisst.

Die Baubeschreibungen der mehr als 40 intensiver betrachteten Fallbeispiele sind gut lesbar und konzentrieren sich meistens auf die wichtigen konstruktiven Elemente sowie die Funktionsabläufe. Die konkrete städtebauliche Einbindung wird dafür zwar bei vielen Einzelbetrachtungen außen vor gelassen, Oloew widmet den Diskussionen zur Lage der großmaßstäblichen Baukörper allerdings in der Erläuterung der allgemeinen Entwicklungsgeschichte immer wieder entsprechende Anmerkungen. Gerade bei den Konstruktionsdetails wird die aufmerksame und gründliche Forschungsarbeit Oloews deutlich: Ganz selbstverständlich erklärt er unterschiedliche Binderkonstruktionen zur Überdeckung der stützenlosen Hallenschwimmbäder und erläutert wie nebenbei die gebäudetechnischen Vor- und Nachteile verschiedener Baumaterialien, beispielsweise bei der Erläuterung des Fertigteilbaus des Hallenbads in Aalen (S. 232–235). Ergänzt werden die Beschreibungen durch umfangreiches Bildmaterial: Zahlreiche Abbildungen von Grundrissen, Entwurfszeichnungen und bauzeitlichen Innen- sowie Außenraumdarstellungen ergänzen die Baubeschreibungen ebenso wie eine Reihe von Farbfotografien des heutigen Zustands der Bäder. Sicherlich nicht dem Autor geschuldet, sondern den Gestaltungsvorgaben des Verlages, sind die fehlenden Verweise auf diese Abbildungen im Text oder wenigstens einheitliche Abbildungsunterschriften mit konkreter Zuweisung von Architekt/in und Bauzeit.

Inhaltlich muss man an der ansonsten höchst interessanten und gut lesbaren Studie Oloews zwei Punkte kritisieren: Einerseits seine häufig fehlenden architekturhistorischen Referenzen über die Bautypologie Schwimmbad hinaus und andererseits sein Umgang mit der deutsch-deutschen (Architektur-)Geschichte nach 1945. Nur sehr selten verweist der Autor auf architekturbezogene Stildebatten des 20. Jahrhunderts oder die Einflüsse anderer Bautypologien auf die formale Gestaltung der Schwimmbäder. So wecken die Abbildungen von Wettbewerbsbeiträgen auf den Seiten 114 und 115 einige Assoziationen mit der Architektur des Neuen Bauens, wie mit dem Bauhaus-Schulgebäude in Dessau, der Großmarkthalle Elsässers in Frankfurt am Main oder mit Mendelsohns Kaufhaus Schocken in Stuttgart. Keine dieser oder auch eine andere Referenz wird von Oloew herangezogen. An anderen Stellen erwähnt er stattdessen mehrfach ausgerechnet Bruno Tauts 1914 auf der Werkbundausstellung präsentierten Glaspavillon – wegen der Verwendung des Baustoffs Glas und der Verse Paul Scheerbarts über Glas an dessen Fries (etwa S. 116). Formale Bezüge zu anderen Bauten gibt es lediglich bezogen auf Ingenieursleistungen (S. 107). Ebenso wenig differenziert erscheint der Umgang des Autors mit der deutsch-deutschen Geschichte: Bei der erstmaligen Gegenüberstellung von Bädern aus Ost- und Westdeutschland, den Sommerbädern in Bad Kissingen und Berlin-Pankow (S. 175–180), erscheint es dem Leser, als ob es keine Unterschiede zwischen der Baupolitik der Bundesrepublik und der DDR gegeben habe. Oloew erwähnt zwar, dass das Schwimmbad in Pankow Teil eines staatlich regulierten städtebaulichen Programms gewesen sei (S. 179), würde er aber nicht die Architekten des Bades als „Kollektiv" bezeichnen, würde die sozialistische Grundhaltung des Programms gar nicht auffallen. Erst knapp 60 Seiten später wird ein Vergleich der ost- und westdeutschen Schwimmbadkonzepte angestrebt (S. 238–240), mit dem Fazit, dass scheinbar kaum Unterschiede festzustellen sind. Oloew stellt bei beiden deutschen Staaten eine ähnliche Entwicklungsgeschichte dar, wobei diese in der DDR ohne die Einwirkung von Sport- und Schwimmverbänden erfolgte. Stattdessen waren politische Entscheidungen maßgeblich. Handelt es sich also beim Schwimmbad um eine der wenigen durchweg gesamtdeutsch zu betrachtenden Bauaufgaben? Die Antwort auf diese Frage erfolgt nicht.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist die Lektüre zur Geschichte des Schwimmbadbaus sehr lesens- und vor allem anschauenswert. Matthias Oloew gelingt es nicht nur, eine Entwicklungsgeschichte des Bäderbaus als kulturelle Bedeutungsgeschichte der Daseinsvorsorge in all ihren mannigfaltigen Facetten ausführlich und flüssig lesbar darzulegen, sondern auch die Bedeutung eines wichtigen Akteurs dieser Entwicklung hervorzuheben: Oloew schreibt nicht nur eine Architekturgeschichte des Schwimmbadbaus, sondern auch eine Kulturgeschichte der Schwimmbadnutzer/innen.

Anmerkungen:
1 Walter Oberschlager, „Wären es die Pulverhäuser aller Welt!“ Gedanken zum Bau des Letzibades von Max Frisch, in: Neue Zürcher Zeitung, 06.08.2011, https://www.nzz.ch/waeren_es_die_pulverhaeuser_aller_welt-1.11794558 (25.07.2020).
2 M. Chardon, Daseinsvorsorge, in: Martin Große Hüttmann / Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Das Europalexikon, 2., aktual. Aufl., Bonn 2013.
3 Vgl. Gerd Landsberg, Kommunale Schwimmbäder. Unverzichtbarer Bestandteil der Daseinsvorsorge, in: Deutscher Städte- und Gemeindebund, Position vom 12. Januar 2015, https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Publikationen/Positionspapiere/Kommunale%20Schwimmbäder%3A%20Unverzichtbarer%20Bestandteil%20der%20Daseinsvorsorge/PP%20Kommunale%20Schwimmbäder%20120115.pdf (25.07.2020).
4 Oloew nennt hierzu einige Einzelbetrachtungen zu konkreten Schwimmbadbauten wie Historisches Museum Frankfurt (Hrsg.), Mein Stadionbad. Eine Ausstellung mit Schwimmbad (Ausstellungskatalog), Frankfurt am Main 2012; Rainer Lächele, Das Merkel‘sche Schwimmbad in Esslingen. Vom Volksbad zur Wellness-Oase, Filderstadt 2007 sowie die Dissertation von Yasmin Renges, Die Stadtbäder der Goldenen Zwanziger. Kommunale Prestigearchitektur zwischen Tradition und Moderne, Köln 2015.
5 Selbstkritisch erläutert der Autor hierzu, dass durch seine Recherchen „kein wesentliches Schwimmbad unberücksichtigt geblieben“ sei und die Erkenntnisse auch „durch die Betrachtung anderer Bäder als der, die ich ausgewählt habe, nicht anders ausfallen würde“ (S. 20).

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